Oktober 2019 – Handelskrieg, Klimakrise, Brexit, globale Konjunkturflaute – die Gefahrensignale kumulieren sich in besorgniserregender Weise. In Europa befindet sich das verarbeitende Gewerbe seit Monaten in einer Rezession – insbesondere in Deutschland. Selbst in den bisher so stabilen USA ist der ISM-Einkaufsmanager-Index erstmals wieder unter die Schwelle von 50 gerutscht und signalisiert damit eine Kontraktion im Industriebereich. Der Dienstleistungssektor und das Konsumklima werden zeitverzögert mit nach unten gezogen. Die Zinsstrukturkurve deutet darauf hin, dass auch in den USA die Gefahr einer Rezession steigt.
Kein Wunder, dass die Stimmung der meisten Börsenexperten seit längerem sehr negativ ist. Zumal die Bewertung an den Aktienmärkten nach Meinung vieler Profis viel zu hoch ist und der Börsenaufschwung bereits seit 10 Jahren andauert. So befand sich unlängst der „Bull & Bear Indikator“ der Bank of America sieben Wochen hintereinander in einem Bereich, der extremen Pessimismus signalisiert. Und in Deutschland hat der ZEW-Indikator für die Investorenstimmung vor kurzem sogar einen historischen Tiefststand erreicht.
Doch wieder einmal liegen bisher alle Crashpropheten und pessimistischen Börsenberater schief, die vor stärkeren Rückschlägen gewarnt haben. Fast alle Aktienindices liegen über ihren steigenden 100- und 200-Tage-Linien und manifestieren damit einen intakten Aufwärtstrend. Die Börsenkurse klettern also an der sprichwörtlichen Mauer der Angst (wall of worry) nach oben. Wie ist das möglich?
Zunächst einmal wird übersehen, dass nicht nur alle bekannten Informationen bereits in den Aktienkursen enthalten sind, sondern auch die Erwartungen der Anleger hinsichtlich der weiteren Entwicklung an den Märkten. Eine extrem negative Stimmung ist daher für die Börsen eher positiv, da die Investoren dann entsprechend unterinvestiert sind. Dies spricht für antizyklisches Agieren, denn nur wer gegen den Strom schwimmt, kommt zur Quelle. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.
Des Weiteren werden konjunkturelle Einflussfaktoren meist überschätzt. Die besten Kaufgelegenheiten am Aktienmarkt bieten sich nachweislich in Rezessionsphasen. Viel entscheidender ist, wie sich die monetären Einflussfaktoren entwickeln. „Never fight the FED“ war schon immer ein geflügeltes Börsenbonmot. So weist die Bilanzsumme der führenden Notenbanken (FED EZB, BoJ) eine hohe Korrelation mit dem Welt-Aktienindex auf. Damit lässt sich übrigens auch die Stagnationsphase seit Anfang 2008 gut erklären. Nachdem die Notenbanken jetzt wieder Gas geben und ihre Bilanzen kräftig ausweiten, spricht dies eher für weiter steigende Aktienkurse.
Auch das scheinbar hohe Bewertungsniveau lässt sich leicht relativieren genauso wie der lange Aufwärtstrend, der eine Spätphase im Börsenzyklus auszudrücken scheint. Dies liegt daran, dass meistens vom Börsentiefpunkt des Jahres 2009 aus gerechnet wird. Tatsächlich notieren europäische Aktien aktuell deutlich unter ihrem Stand aus dem Jahr 2000. Der EuroStoxx50 notierte Anfang des Jahrhunderts bei 5.300 und heute bei 3.600 Punkten. Die Unternehmen konnten dagegen über die letzten 20 Jahre ihre Gewinne deutlich ausweiten. Stagnationsphasen von 15 Jahren und mehr sind an den Börsen extrem ungewöhnlich und werden erfahrungsgemäss von starken Aufwärtsbewegungen abgelöst. Selbst die Bewertung von US-Aktien ist weiter günstig, wenn man das extrem tiefe Zinsniveau berücksichtigt.
Doch was soll man kaufen? Hier kommt den Anlegern zu Hilfe, dass aufgrund der zahlreichen Börsenkrisen seit der Jahrtausendwende extrem defensiv operiert wird. Qualitätsaktien Wachstumswerte und Low Volatility wurden jahrelang einseitig bevorzugt. Dies hat zu totalen Verzerrungen geführt. Während eine Nestle heute mit einem Kurs/Buchwert-Verhältnis von sechs bewertet wird, kann man zahlreiche gute Value-Aktien unter ihrem Buchwert kaufen. Und bekommt noch eine ordentliche Dividendenrendite. Nur einmal in den letzten 50 Jahren war das Verhältnis von Value versus Growth noch niedrige als heute.
Peter E. Huber
(Oberursel, den 26. Oktober 2019